Die Hardware unter der Haut. In der US-amerikanischen Provinz treiben Bastler die Verschmelzung von Mensch und Maschine voran. Hannes Wiedemann hat sich umgesehen und berichtet von den Selbstversuchen der DIY-Cyborgs.
Wer immer sich mit Technologie beschäftigt und mit der Frage, wie diese den Fortgang der Menschheit in Zukunft bestimmen wird, ist gut beraten, sich im Silicon Valley umzusehen. Hier treffen naive Spielereien von Nerds auf die krasseste Ausprägung neoliberaler Ideologie – eine Mischung, die in den letzten Jahren reichlich Erfindungen hervorgebracht hat. Nun, so ist zu hören, kommen die Cyborgs. Allerdings führt diese Fährte noch fünf Autostunden von der Westküste aus ins tiefste kalifornische Hinterland; zu einer ersten persönlichen Begegnung mit einer kleinen Community: den sogenannten Grinders.
Der Begriff „Grinder“ ist dem Comic „Doktor Sleepless“ von Warren Ellis entlehnt: in den Spelunken seiner fiktiven Stadt entsteht eine Subkultur, deren Mitglieder sich lustvoll die Körper aufschlitzen, Geräte mit fantastischen Namen einsetzen und ihre persönlichen Grenzen mit allerhand Drogen austesten. Kaum vorstellbar, dass diese Randerscheinung der Ellis’schen Dystopie einem realen Phänomen den Namen leihen soll, deren Akteuren nichts Geringeres vorschwebt als die Verbesserung des Menschen.
In einer Garage am Rande der Mojave-Wüste findet im Herbst 2015 ein Treffen der realen Szene statt. Angereist aus allen Teilen der Vereinigten Staaten, treffen sich hier Menschen, die sich bisher oft nur unter Pseudonym auf dem board kannten, dem technisch etwas veralteten Internetforum, das ebenso chaotisch wie effizient das gemeinsam erlangte und geteilte Wissen archiviert. Um Wissensaustausch geht es vornehmlich auch bei diesem Treffen. Viele Teilnehmer_innen bringen professionelle Expertise aus der Soft- und Hardwareentwicklung, aus der Biologie, der Chemie oder aus dem medizinischen Bereich mit. Je nach Vorliebe wechselt ihre Selbstbezeichnung von Grinder über Bodyhacker, Biopunk bis schlicht zum Cyborg. Während der in diesem Zusammenhang oft genannte Begriff Transhumanismus eine theoretische Denkrichtung bezeichnet, die eine „Weiterentwicklung“ des Menschen durch radikale technologische Eingriffe befürwortet, ist dies hier der Praxistest. Alle Teilnehmer_innen sind sich darin einig, dass sie die Grenzen der menschlichen Form ganz unmittelbar herausfordern möchten – durch Experimente am eigenen Körper.
In den vergangenen Jahren brachte diese Community eine ganze Reihe von Erfindungen hervor: Winzige, aber äußerst starke Magnete wurden körperverträglich versiegelt und in die Fingerkuppe eingesetzt. Nach kurzer Zeit der Gewöhnung war es möglich, einen neuen Sinn für starke Magnetfelder auszuprägen, wie sie uns etwa an manchen Verkehrsampeln, in der Nähe von Elektromotoren oder an Laptops begegnen. Im Jahr 2013 kam der Tüftler Rich Lee auf die Idee, sich solche Magnete am Gehörgang einsetzen zu lassen, eine Kupferdrahtspule um den Hals zu legen und damit gewissermaßen seine Kopfhörer ins Körperinnere zu verlegen. Kurz darauf unternahm Tim Cannon einen der bisher spektakulärsten Selbstversuche dieser Art: Er ließ sich ein selbst gebautes Gerät namens Circadia in der Größe eines Smartphones in den Unterarm implantieren, das die Temperatur seines Körpers aufzeichnete und in Echtzeit via Bluetooth an ein Smartphone übertrug. Nach wenigen Wochen Batterielaufzeit musste das Implantat wieder herausgenommen werden. Die Schmerzen waren immens, der praktische Nutzen zunächst nicht größer als der eines Fieberthermometers. Zu Testzwecken werden außerdem schon einmal Platinen in den Handrücken eingesetzt, deren Output sich in blinkenden LEDs erschöpft. Da stellt sich die Frage: Welchen Zweck haben diese riskanten Versuche? Hier beteuern alle Entwickler_innen, dass es langfristig darum gehe, das Leben der Menschen zu vereinfachen. Es handle sich momentan noch um Prototypen im Entwicklungsstadium, deren Funktionalität es auszubauen gelte. Dabei kreist die technische Entwicklung seit Jahren vornehmlich um zwei kritische Punkte: die Stromversorgung der Geräte und die zuverlässige Versiegelung der technischen Bauteile.
Viele Menschen nehmen diese mitunter schmerzhaften Praktiken mit einer Mischung aus Faszination und Ekel zur Kenntnis, die an die frühen Tage der Piercing-Kultur erinnert. Während Ärzte nichtmedizinische chirurgische Eingriffe in den eigenen Körper gemäß ihrem Berufsethos meist grundsätzlich ablehnen, ist das Reaktionsspektrum seitens der Wissenschaft breiter. Hier kommt es regelmäßig zum Streit über wissenschaftliche Standards. Dass jedoch einige Forscher mit Interesse auf die Grinder-Szene schielen, hat einen besonderen Grund. Hier werden freiwillig und mit Begeisterung Menschenexperimente am eigenen Körper durchgeführt, die in der Forschung aus ethischen Gründen gar nicht oder nur mit massivem Aufwand möglich wären.
Woher kommt eigentlich ein derartiges tief liegendes Bedürfnis zur Überschreitung der eigenen körperlichen Grenzen? Stellt man die Frage ganz direkt, erhält man verschiedene Antworten. Das Spektrum reicht hier in etwa vom Bezug auf die eigene spielerische Neugierde bis zur völlig ironiefreien Vision einer erst durch den massiven Einsatz von Technologie ethisch handlungsfähigen, transhumanen Lebensform. Was die Grinder-Community anbelangt, scheint allerdings ein gewisses Selbstbild vorzuherrschen: Erstens seien die meisten Probleme der Menschheit technisch lösbar und zweitens sei Grinding ein subversiver Akt des Hacking. Nicht nur der menschliche Körper werde überlistet, sondern auch die Biologie als Ganzes und die akademische Wissensproduktion. Beide Ideen verbinden sich zu einem starken Glauben an das emanzipatorische Potenzial der Technik. Kritik daran wird gerne als innovationsfeindlich und reaktionär abgetan.
Doch Kritiker fragen zu Recht: Was passiert eigentlich, wenn diese Selbsttechniken kommerzialisiert werden? Die erwähnten Magnete etwa wurden nach Angaben des Vertriebs dangerous things bereits zu Tausenden verkauft. Ein weiteres Erfolgsprodukt (über 10.000 Verkäufe) jener Firma sind etwa reiskorngroße RFID- und NFC-Chips. Sie werden in einer recht simplen Prozedur zwischen Daumen und Zeigefinger gespritzt. Je nach Anwendung lässt sich damit das eigene Handy entsperren oder das Auto durch Handauflegen starten. In Schweden bietet der ehemalige Unternehmensberater Hannes Sjöblad auf Basis dieser Technologie ganze Unternehmenslösungen an: Mitarbeiter_innen lassen sich Chips einsetzen, Schließsysteme werden daraufhin umgerüstet.
Wie überall in der IT-Branche verquicken sich hier Hacker-Ethos und neoliberale Figuren. Eigentlich anarchistische Strategien, mit denen das Establishment eben noch geärgert wurde, wandeln sich schnell zur Geschäftsidee. Gerade Kalifornien und das Silicon Valley gelten heute als Sinnbild für die Vernichtung jeglicher Subversion durch die Einbettung des Hacking in eine neoliberale Erfolgslogik. Das spielerische Aushebeln von Machtstrukturen wird auf das nützliche Finden von Lösungen reduziert. Grinders sind derzeit noch Nerds, ihre Technik ist einfach, günstig und meist frei verkäuflich. Sie arbeiten in der Garage in Kalifornien, in der heimischen Bastelstube in Seattle oder im rudimentär eingerichteten Kellerlabor nahe Pittsburgh. Doch ihre Vision von der Verbesserung des Menschen ist der radikalliberalen Ideenwelt der Techno-Industrie gewaltig nahe. Wenn die Grenzen des Menschlichen tatsächlich gehackt werden sollen, kann das nur mit einem kritischen Blick nach außen geschehen, auf die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, die uns binden.