How To: Open Source Investigation

Eine Anleitung zur investigativen Ermittlung im Internet.

 

 

Text: Eliot Higgins

Seit einigen Jahren werden immer häufiger nutzergenerierte Webinhalte verwendet, um aus der Ferne über Kriegsgebiete zu recherchieren. Journalisten_innen, Menschenrechtsorganisationen, Regierungen und andere zeigen wachsendes Interesse an der Nutzung dieser Inhalte aus Krisengebieten. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese von Profilen sozialer Netzwerke oder aus ungewöhnlicheren Quellen stammen. Im Zuge meiner eigenen Arbeit habe ich bereits Waffenschmuggel an syrische Rebellen aufgedeckt, den Einsatz chemischer Waffen in Syrien recherchiert, den mit dem Absturz der MH17 in Verbindung gebrachten Raketenwerfer in der Ukraine aufgespürt und vieles mehr.

Syria Right Now zeigt Social-Media-Posts aus Raqqa, Syrien.

Syria Right Now zeigt Social-Media-Posts aus Raqqa, Syrien.

Bei der Verwendung von nutzergenerierten Inhalten steht jeder Arbeitsschritt in einem gewissen Kontext. Daher ist es wichtig, jeden Schritt innerhalb dieses Prozesses zu verstehen. Zuerst wird der Inhalt erzeugt, sei es durch Aktivist_innen die eine Protestaktion filmen, durch professionelle Fotograf_innen in einem Kriegsgebiet oder durch eine andere Quelle. Dabei ist die Absicht, die zum Erzeugen dieser Inhalte geführt hat, ebenso wichtig, wie die Methode, mit der diese dann verbreitet werden. Im Fall von Syrien existiert aufgrund des eingeschränkten Zugangs zum Internet eine organisierte Struktur von Profilen in sozialen Netzwerken, die mit der Zeit organisch gewachsen ist. Videos oppositioneller Gruppen werden also auf diesen häufig genutzten Profilen geteilt. Taucht also ein angeblich von der syrischen Opposition stammendes Video auf einem neu erstellten Profil auf, sollte dessen Authentizität sofort angezweifelt werden.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Video „Syrian Hero Boy“, welches ursprünglich auf einem brandneuen YouTube-Kanal veröffentlicht wurde und sich später als Fälschung herausstellte. In Anbetracht der vielen Arbeitsschritte, ist es sehr nützlich, verschiedene Techniken und Werkzeuge zur Hand zu haben.

Standbild aus ›Syrian Hero Boy‹

Standbild aus ›Syrian Hero Boy‹

Beim Arbeiten mit nutzergenerierten Inhalten ist es nützlicher eine ganze Werkzeugkiste zu haben, statt nur ein Schweizer Messer. Wenn es um Ortsbestimmung geht, sind den meisten nur Seiten wie Google Maps bekannt, nicht aber Yandex Maps, eine Seite, die über ihre eigene Version von Googles Street View verfügt und auch Orte in der Ukraine und Russland abdeckt, die anderswo nicht auftauchen, was gerade im aktuellen Konflikt sehr nützlich sein kann. Es lohnt sich, auch die Werkzeuge im Auge zu behalten, die gerade entwickelt werden oder aber auch einfach die auszuprobieren, die bereits existieren. Auch kann man sich für die eigene Arbeit inspirieren lassen, indem man sich anschaut, wie andere Menschen vorgehen, die mit nutzergenerierten Inhalten arbeiten.

1. Entdecken

Nachdem relevante Informationen erzeugt und verbreitet wurden, musst du sie entdecken und analysieren. Im Fall von Syrien existiert, bedingt durch die dortigen Strukturen im Vergleich zu Regionen mit uneingeschränktem Internetzugang, nur eine relativ kleine Anzahl (einige Tausend) von Social-Media-Kanälen. Das bedeutet, dass es hier möglich ist, alle von der Opposition genutzten YouTube-Kanäle zu abonnieren oder all ihren Twitter- und Facebookprofilen zu folgen und so einen kontinuierlichen Stream an Inhalten zu erhalten. Fortschrittliche Plattformen wie Syria Right Now werden entwickelt, um diesen Prozess noch zu vereinfachen, sogar für jemanden, der sich erst seit Kurzem mit dem Konflikt beschäftigt.

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Standbild eines Videos, dass einen Buk Raketenwerfer zeigt, 17. Juli, Snizhne, Ukraine

Im Falle des Ukrainekonflikts beispielsweise, gestaltet sich das Ganze schon etwas komplizierter. Der Internetzugang ist hier relativ uneingeschränkt, was dazu führt, dass zusätzlich zu den Internetseiten verschiedener Gruppen aus der Ukraine auch noch riesige Mengen an Inhalten von sowohl in Russland als auch in der Ukraine lebenden Personen auf deren privaten Social-Media-Profilen gepostet werden. Eine Stichwortsuche in einem sozialen Netzwerk kann also zu vielen nutzbaren Inhalten führen, birgt allerdings auch das Risiko, viele irrelevante Informationen zu enthalten. Inhalte, die nicht durch Aktivist_innen oder bewaffnete Gruppen gefiltert werden, machen es zwar möglich, verborgene Schätze aufzuspüren, der Rechercheprozess nimmt allerdings auch wesentlich mehr Zeit in Anspruch.

2. Sichern

Nun folgt die Sicherung des gesammelten Inhalts. Dieser Schritt wird häufig übersehen, ist jedoch wichtig, da es regelmäßig aus vielerlei Gründen vorkommt, dass Inhalte wieder gelöscht werden. Es ist also ratsam, den Inhalt zu speichern und eine Kopie zu sichern. Videos können mit Hilfe verschiedener Hilfsprogramme heruntergeladen werden, aber auch über Seiten wie Keepvid und Clip Converter oder Archive.org. Hier können ganze Seiten ausgewählt und archiviert werden. Im Fall des Absturzes der MH17 in der Ukraine, am 17. Juli 2014, wurde ein Video, das den mit dem Absturz des Flugzeuges in Zusammenhang gebrachten Buk Raketenwerfer zeigte, schnell gelöscht. Hätten einige Leute das Video nicht direkt heruntergeladen, wäre das Video abhanden gekommen. Daher ist es sehr wichtig, von brisanten Inhalten schnell Kopien zu erstellen, da diese so schnell wieder verschwinden können, wie sie aufgetaucht sind. Hierbei ist es auch sehr nützlich, die Inhalte zu ordnen. Während meiner Arbeit zu Syrien habe ich mehrere YouTube-Playlisten für die verschiedenen Videos erstellt, je nach dem, ob es sich dabei um spezifische Ereignisse oder beispielsweise um das Verfolgen eines Waffentyps handelte.

3. Verifizieren

Auf das Sichern der nutzergenerierten Inhalte folgt das Verifizieren. Eine bekannt gewordene Methode ist hierbei die Ortsbestimmung. Es gibt jedoch auch andere Wege, an verifizierbare Informationen zu gelangen. Hier ist es wieder nützlich, sich damit auszukennen, wie Inhalte online verbreitet werden, denn so wird es auch einfacher, zusätzliche Informationen zu finden. Wie wir bereits wissen, verfügt die syrische Opposition über YouTube-Kanäle, Facebookprofile und Twitterkonten. Wenn wir also auf einer dieser Plattformen Inhalte finden, so ist es sehr wahrscheinlich, dass in anderen Netzwerken noch weitere Informationen zu diesem Thema zu finden sind. Wird in einer ukrainischen Stadt ein Vorfall gefilmt, so ist es sinnvoll, in den sozialen Netzwerken nach Profilen zu suchen, die aus der Gegend stammen, in der der Vorfall stattgefunden hat.

 

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Ortsbestimmung eines Fotos im Zusammenhang mit dem Absturz der MH17

 

4. Veröffentlichen

Ist der Inhalt erst einmal verifiziert, kann er veröffentlicht werden. Hierbei geht es nicht immer darum, einen Artikel zu schreiben oder eine Analyse zu verfassen. Im Fall des Bellingcat Ukraine Vehicle Tracing Project haben wir Meldungen über russische Militärfahrzeuge in der Ukraine zusammengetragen, Ortsbestimmungen von Videos durchgeführt und diese in eine Datenbank eingetragen, die mit der Silk Platform verlinkt ist, um so mehrere einbettbare Darstellungen des Datenmaterials zu erstellen. Das bedeutet, dass jede_r Übersichten erstellen kann, die auf diesen Informationen beruhen und diese je nach Bedarf anpassen und individuell weiterverwenden kann.

5. Los geht’s

Wo fängt man an, wenn man ein Neuling auf diesem Gebiet ist? Jeder der mit nutzergeneriertem Inhalt arbeitet, sollte zumindest die Grundhilfsmittel zur Verifizierung von Inhalten kennen. Grundkenntnisse in Ortsbestimmung kann man sich leicht aneignen. Auf der Bellingcat-Seite finden sich viele Fallstudien und Anleitungen.